Eine historische Einordnung

„Es gibt wohl keinen Beruf, der für Größe und Zukunft der Nation so bedeutungsvoll ist wie der ärztliche (…). Aber keiner ist auch so verjudet wie er und so hoffnungslos in volksfremdes Denken hineingezogen worden.“

Aufruf des nationalsozialistischen Deutschen Ärztebundes. In: Völkischer Beobachter vom 23.03.1933.

Die systematische Verfolgung und Verdrängung bestimmter Personengruppen aus allen Lebensbereichen der nationalsozialistischen Diktatur spiegelte sich auch innerhalb der Ärzteschaft wider – und das schon sehr früh. Bereits wenige Monate nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler begann eine Welle an Erlassen und Gesetzen, die darauf abzielten, sogenannte “nicht-arische” Personen aus dem Gesundheitswesen zu vertreiben. Das oftmals nach der Niederlage Deutschlands, beispielsweise im Rahmen der Nürnberger Ärzteprozesse, aufgeführte Narrativ der ärztlichen Unschuld lässt sich schon bei der historischen Betrachtung des Jahres 1933 widerlegen.

So rief im März 1933 der Deutsche Ärztebund im Völkischen Beobachter zur “Säuberung der deutschen Ärzteschaft” auf. Im gleichen Monat erfolgte die Gleichschaltung der ärztlichen Selbstvertretung unter dem Gründer und Leiter des Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebundes (NSDÄB) Gerhard Wagner. In der Rolle des neu etablierten Reichskommissars übersah Wagner den Deutschen Ärztevereinsbund und Hartmannbund und leitete ab August 1933 die neu gegründete Kassenärztliche Vereinigung (KV). Er war auf vielen (gesundheits-)politischen Ebenen eine treibende Kraft in der Verdrängung jüdischer Personen aus dem Gesundheitswesen. Das am 7. April 1933 erlassene Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums bildete dabei die Grundlage für die unmittelbar darauf beginnende Entlassung von hauptsächlich jüdischen (oder als jüdisch deklarierten) Beamten und Angestellten. Davon betroffen waren ProfessorInnen, ÄrztInnen sowie medizinisches Personal an Hochschulen, in Gesundheitsämtern und in staatlichen Krankenhäusern. Die Verordnung über die Zulassung von Ärzten zur Tätigkeit bei den Krankenkassen wurde einige Tage später am 22. April 1933 erlassen und entzog „nicht arischen“ ÄrztInnen und solchen, die sich „im kommunistischen Sinne betätigt“ hatten, die kassenärztliche Zulassung. Zudem wurde jüdischen ÄrztInnen verboten, Ehrenämter in Aufsichtsgremien, in Ausschüssen oder als BeraterInnen und GutachterInnen wahrzunehmen. Die Nürnberger Rassegesetzen aus dem Jahr 1935 festigten die in den Jahren zuvor bereits etablierte Zweiklassengesellschaft im NS-Staat. 1938 erfolgte schließlich die vollständige Verdrängung jüdischer ÄrztInnen, denn mit der Vierten Verordnung zum Reichsbürgergesetz wurde allen jüdischen ÄrztInnen die Approbation entzogen. Gleichzeitig widerriefen die Universitäten ihre Promotionen. Der 1934 ernannte erste Reichsärzteführer Gerhard Wagner verkündete 1939: „Der ärztliche Beruf und die medizinische Wissenschaft sind endgültig vom jüdischen Geist befreit worden.“ Nur noch wenige jüdische ÄrztInnen durften unter dem Begriff „Krankenbehandler“ und mit einer widerruflichen Sondergenehmigung ausschließlich jüdische PatientInnen behandeln. Zwischen 1933 und 1945 seien so mehr als 9.000 ÄrztInnen aus ihrem Beruf gedrängt, in die Emigration getrieben oder ermordet worden. BerufskollegInnen und medizinische Institutionen nutzten diese Entwicklung sowohl zur privaten Bereicherung und Karriereförderung, als auch zur Fortführung der bereits vor der NS-Diktatur bestehenden menschenfeindlichen Forschung und Arbeit. Der Raubzug des NS-Staates an der jüdischen Bevölkerung macht vor nichts Halt. Es wurden Arztpraxen und sogar ganze Kliniken und Sanatorien enteignet.

“Ein Gesundes Volk Siegt!”

Rudolf Hess in der Münchner medizinische Wochenschrift (MMW) aus dem Jahr 1939

Mit den Nürnberger Rassegesetzen von 1935 wurde eine Zweiklassengesellschaft im NS-Staat gesetzlich verankert. Mit der Schaffung der Reichsärztekammer am 13. Dezember 1935 wurde die Bezeichnung „Approbation“ in der Reichsärzteordnung durch den Begriff „Bestallung“ ersetzt. Dieser von den Nationalsozialisten eingeführte Begriff galt bis zum Inkrafttreten der Bundesärzteordnung am 1. Januar 1970, in welcher der ursprüngliche Begriff Approbationsordnung wieder verwendet wurde. 1938 wurde mit der Vierten Verordnung zum Reichsbürgergesetz den jüdischen Ärzten die Approbation entzogen. Gleichzeitig widerriefen die Universitäten die Promotionen. „Die gesamte Gesundheitspflege von Juden gereinigt“ – das titelte 1939 eine Zeitung in Berlin unter Bezugnahme auf NS-Reichsärzteführer Gerhard Wagner (1888–1939), der in einer Parteitagsrede verkündet hatte: „Der ärztliche Beruf und die medizinische Wissenschaft sind endgültig vom jüdischen Geist befreit worden.“ Das Berufsverbot bedeutete das Ende der beruflichen Existenz jüdischer Heilberufler. Nur noch einige wenige jüdische „Krankenbehandler“ durften mit einer widerruflichen Sondergenehmigung ausschließlich jüdische Patient*innen behandeln, ohne dabei die Bezeichnung „Arzt“ oder “Ärztin” führen zu dürfen. Zwischen 1933 und 1945 seien so mehr als 9.000 Ärztinnen und Ärzte aus ihrem Beruf gedrängt, in die Emigration oder den Selbstmord getrieben “oder, wie Millionen andere, ganz einfach umgebracht worden”.

24. März 1933
Ende März 1933 erfolgt die Gleichschaltung der ärztlichen Spitzenverbände mit Dr. Gerhard Wagner als ersten Vorsitzenden. Jüdische Ärzt*innen werden aufgefordert ihre Ämter in Vorständen und Ausschüssen niederzulegen
24. März 1933
1. April 1933
Wenige Tage später beginnt der Boykott gegen jüdische Ärzt*innen, Rechtsanwält*innen und Geschäftsleute. SA- und SS-Männer patrouillieren vor Praxen mit Schildern wie ‚Eine deutsche Frau, ein deutsches Mädchen geht nicht zum jüdischen Arzt!’.
1. April 1933
4. April 1933
Es wird ein Immatrikulationsverbot für Juden und Jüdinnen für das Medizinstudium an bayerischen Universitäten ausgesprochen.
4. April 1933
7. April 1933
Das ‚Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums’ wird beschlossen. Damit erfolgt die Entlassung aller Juden und Jüdinnen und politischen Gegner aus dem öffentlichen Gesundheitsdienst,- Ausnahme dabei sind Frontkämpfer und vor 1914 verbeamtete Ärzt*innen.
7. April 1933
22. April 1933
Wenige Wochen im Anschluss wird die Verordnung über die Zulassung zur Kassenpraxis angepasst. Die Folge ist ein=> Entzug der Kassenzulassung für viele jüdische Ärzt*innen, die somit ihre Praxis verlassen müssen.
22. April 1933
7. April 1933
Das ‚Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums’ wird beschlossen. Damit erfolgt die Entlassung aller Juden und Jüdinnen und politischen Gegner aus dem öffentlichen Gesundheitsdienst,- Ausnahme dabei sind Frontkämpfer und vor 1914 verbeamtete Ärzt*innen.
7. April 1933