Eine kleine Geschichte des §218 StGB
Im Folgenden ist eine Auswahl an Protestplakaten, Demoaufrufe und Mobilisierungsmaterial zum fortwährenden Kampf gegen den §218 StGB zu sehen. Weitere Informationen sowie Bildmaterial sind im Digitalen Deutschen Frauenarchiv zu finden. Außerdem folgt ein kurzer Abriss über den Widerstandskampf gegen das deutsche Abtreibungsverbot.
Ein Text der Kritischen Medizin München vom 11.05.2021




Die Geschichte des §218 StGB ist zugleich auch eine Geschichte des beständigen feministischen Widerstandskampfes. Vor 150 Jahren trat der §218 des Reichsstrafgesetzbuches im ehemaligen Deutschen Kaiserreich in Kraft, wodurch Abtreibung mit einer Zuchthausstrafe von bis zu fünf Jahren bestraft wurde. Bereits zu der Jahrhundertwende formierte sich daher unter dem Spruch “Dein Bauch gehört dir” gemeinsamer Widerstand in Form der ersten sozialistischen Frauenbewegung. 1905 gründete Helene Stöcker den Bund für Mutterschutz und Sexualreform und kämpfte für sexuelle Aufklärung und Selbstbestimmung. Immer wieder fanden in diesem Rahmen Petitionen zur Reform des §218 Einzug in den Reichstag. Diese wurden aber im Zuge der imperialistischen und militaristischen Bevölkerungspolitik des Deutschen Kaiserreichs konsequent abgelehnt.
Auch nach dem ersten Weltkrieg kam es immer wieder zu Reformvorschlägen und Debatten im Reichstag – ohne wirkliche Veränderung. 1926 wurde lediglich erreicht, dass Abtreibung nicht mehr mit “Zuchthaus”, sondern “nur” mit Gefängnisstrafe bestraft wurde. Die Trägheit und innenpolitische Zersplitterung der Weimarischen Republik führte dazu, dass sich der Kampf gegen den §218 auf die Straßen verlagerte. Angeführt wurde der Widerstand von Künstler*innen, Ärzt*innen, Aktivist*innen und Frauen selbst, die sich gegen die repressive und patriarchale Bevölkerungspolitik der Weimarer Republik richteten. Zu erinnern ist dabei beispielsweise an die Ärztin Else Kienle (1900 bis 1970), welche gemeinsam mit dem Arzt und Dramatiker Friedrich Wolf 1931 wegen “gewerbsmäßiger Abtreibung” verurteilt wurde. Es folgte eine deutschlandweite Protestwelle, mit öffentlichen Demonstrationen und Kundgebungen. Kienle wurde nach einem 7-tägigen Hungerstreik freigelassen. Im April 1931 sprach sie vor zehntausend Menschen und stellte eine zentrale Figur des Widerstandskampfes gegen das deutsche Abtreibungsverbot dar.
Nach der Machtübernahme der NSDAP wurden im Mai 1933 die ursprünglichen Paragraphen §218 und §220 aus dem Jahr 1871 wieder eingeführt. Der nationalsozialistische Geburtenzwang zentrierte sich um die “Lebenskraft des deutschen Volkes”. Somit wurde ein Abbruch als Verrat geachtet und mit der Todesstrafe verfolgt. Abtreibungen “unwerten” Lebens oder “minderwertiger Volksgruppen” hingegen wurden durch die pervese Rassenpolitik des Naziregemis gedultet beziehungsweise in Form der “Euthanasie” oder der Zwangssterilisation gewaltsam durchgesetzt.
Nach der Niederlage Deutschlands und dem Ende des zweiten Weltkriegs wurden die im Nazireich geltenden Gesetze durch die Besatzungsmächte aufgehoben. Abtreibung blieb allerdings weiterhin verboten, sowie Verhütungsmittel und Sexualpädagogik. Obwohl mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes 1949 bereits die Todesstrafe faktisch verboten war, wurde in der Bundesrepublik erst 1953 die Todesstrafe für Abtreibung aufgehoben. Darüber hinaus waren die 1950er Jahre weitestgehend von Tabuisierung und antifeministischer Politik geprägt. Nichtsdestotrotz fanden weiterhin unter prekären und risikoreichen Bedingungen Abtreibungen statt, jedoch variierten die Preise und Zugangsmöglichkeiten für Eingriffe stark. Abtreibung war damit vor allem ein soziales Problem und als Folge kam es zu vielen ungewollten Geburten. Im Zuge der “neuen Frauenbewegung” der 60er und 70er Jahre formierten sich die “Kampagnen gegen den Abtreibungsparagraphen 218”. So beispielsweise auch die Selbstbezichtigungskampange um Alice Schwarzer, welche im Juni 1971 im Stern veröffentlicht wurde. Innerhalb von zwei Monaten unterzeichneten fast 90.000 Frauen den Aufruf und forderten unter dem Slogan “Wir haben abgetrieben” die ersatzlose Streichung des §218. Etwa ein Jahr später im März 1972 verabschiedete die Volkskammer der DDR das “Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft” womit erstmals eine Fristenlösung etabliert wurde. Hierdurch wurde eine Abtreibung innerhalb der ersten drei Monate ohne Pflichtberatung möglich. Als Folge stieg auch der gesellschaftspolitische Druck in der BRD weiter an und nach vielen weiteren Protesten, Aktionen und Demonstrationen der Frauenbewegung trat im Juni 1974 die Fristenlösung in Kraft. Dieser Erfolg wurde jedoch kurzerhand durch die CDU/CSU Fraktion vor das Bundesverfassungsgericht gestellt und als größtenteils verfassungswidrig erklärt: “Das sich im Mutterleib entwickelnde Leben steht als selbständiges Rechtsgut unter dem Schutz der Verfassung (…) und hat auch Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht der Frau.” Die Empörung und der Protest waren erneut groß und nach unermüdlicher Gegenwehr und neuer Regierung, trat im Mai 1976 das sogenannte Indikationsmodell in Kraft, wonach Schwangere bei medizinischer, kriminologischer, eugenischer und psychosozialer Indikation ein Abbruch gewährt war. Der Verein Pro Familia übernahm ab 1976 die durch den §219 gesetzlich vorgeschrieben Pflichtberatung.
Mit der 1982 neugewählten CDU/CSU/FDP-Regierung unter Helmut Kohl begann der antifeministische Kampf gegen die Paragraphenreform von “rechts”. Der CDU-Familienminister Heiner Geißler bildete die interministerielle Arbeitsgruppe “zum Schutz des ungeborenen Lebens” und verbündete sich mit der katholischen Kirche. Ziel waren Kampagnen gegen die “soziale Indikation”. Unter dem Deckmantel der sozialen Unterstützung versuchten vor allem die CDU/CSU das Selbstbestimmungsrecht ungewollt schwangerer Personen zu untergraben. Pro Familia stellte sich jedoch konsequent quer und geriet dabei auch in Konflikt mit dem Familienministerium mit der Erklärung: “Entlastungen für das Leben mit Kindern: ja. – Almosen und Gebärprämien: nein.”. Die anhaltende Diskussion um den §218 wurde 1988 durch den sogenannten “Memminger-Prozess” gegen den Gynäkologen Horst Theissen erneut aufgeheizt. Denn der Arzt wurde 1989 zu zweieinhalb Jahren Gefängnis und drei Jahren Berufsverbot verurteilt und musste sich in einem fast ein Jahr langem Schauprozess gegen den Vorwurf illegaler Abbrüche verteidigen. Das Gericht verhörte hunderte seiner Patientinnen in einem demütigenden und peinlichen Prozess. Aus der gesamten Bundesrepublik reisten zahlreiche Demonstrant*innen an, um nicht nur gegen den Prozess selbst, sondern insgesamt gegen den §218 zu protestieren. 1994 wurde das Ergebnis verkündet: eineinhalb Jahre auf Bewährung und kein Berufsverbot.
Nach der Wiedervereinigung fanden im Juni 1990 dutzende Demonstrationen gegen die bundesweite Einführung des §218 statt. Alleine in Bonn kamen 10.000 Menschen auf die Straße im Kampf gegen das Abtreibungsverbot zu protestieren. Nach langer politischer Debatte wurde im Herbst 1995 im Bundestag die Neufassung verabschiedet, nach der die Fristenregelung mit Beratungspflicht bis heute gilt.





Literaturverzeichnis
- “Geschichte des Widerstands gegen den Strafrechtsparagrafen 218” von Gisela Notz; Konferenz »Mein Körper – meine Verantwortung – meine Entscheidung: Weg mit § 218!«, welche am 9./10. Juli 2016; https://www.sexuelle-selbstbestimmung.de/6669/geschichte-des-widerstands-gegen-den-strafrechtsparagrafen-218/; aufgerufen am 09.05.2021
- Kurze Geschichte des Paragrafen 218 Strafgesetzbuch von Dirk von Behren, 10.05.2019,https://www.bpb.de/apuz/290795/kurze-geschichte-des-paragrafen-218-strafgesetzbuch?p=all; abgerufen am 09.05.2021
- Notz, Gisela: „,Mein Bauch gehört mir‘. Der Kampf der Frauen um das Recht auf Selbstbestimmung (§ 218)“, in: Kinner, Klaus (Hg.): Linke zwischen den Orthodoxien, Berlin: Karl Dietz Verlag 2011
- Günter Jerouschek, Lebensschutz und Lebensbeginn. Die Geschichte des Abtreibungsverbots, Tübingen 2002
- https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/start, abgerufen am 09.05.2021