Wer schon einmal auf der Gegenkundgebung einer Abtreibungsgegner-Demonstration war oder einfach das Wort Abtreibung gegooglet hat, weiß, dass Abtreibungsgegner:innen es gerne dramatisch mögen. Ob grafische und blutige Bilder oder Horrorgeschichten aus der „fetalen Perspektive“: sogenannte „Lebensschützer:innen“ versuchen mit unterschiedlichsten Methoden die Debatte um Schwangerschaftsabbrüche zu emotionalisieren. Dabei werden häufig wissenschaftliche Fakten verdreht, falsch dargestellt oder aus dem Zusammenhang gerissen.
Selbstbestimmung vor Fundamentalismus - was Lebensschützer:innen nicht wissen wollen
CW: Mysogynie, Antifeminismus
Auf Einladung des feministischen Frauen*gesundheitszentrum Stuttgart veranstalteten wir am 08.12.2020 deshalb gemeinsam mit der Antisexistischen Aktion München (ASAM) einen online-Workshop, in dem wir mit diesen Mythen und Lügen aufräumten und die antifeministische sogenannte „Lebensschutzbewegung“ und ihre Argumentationen beleuchteten und in Kontext setzten.
Mit etwa 25 Teilnehmer:innen starteten wir mit einem kurzen Quiz. Dabei ging es zum Beispiel um die im Strafgesetzbuch festgelegten rechtlichen Grundlagen des Schwangerschaftsabbruchs in Deutschland, um das Verhältnis von Lebendgeburten zu Abtreibungen oder die Tatsache, dass die meisten Abbrüche in Deutschland in der siebten bis neunten Woche vorgenommen werden.
In dem anschließenden Vortrag von ASAM erklärte uns deren Aktivistin Nina unter anderem, welche Gruppierungen in Deutschland zur sogenannten „Lebensschutzbewegung“ gehören. Viele dieser Organisationen kommen aus dem christlichen Umfeld, auch die christlichen Parteien vertreten in weiten Teilen sogenannte „Pro-Life“-Positionen, unter dem Vorwand des „Schutz des ungeborenen Lebens“. Auch rechte Gruppierungen und Parteien stellen sich gegen das Recht auf sichere Abtreibungen, hier kommt vielmals eine völkische Argumentationsstruktur hinzu. Abtreibungsgegner:innen möchten jedoch nicht nur die körperliche Selbstbestimmung von Personen mit Uterus einschränken, viel mehr ist das das Mittel zum Zweck, um Frauen in ihre vom Patriarchat zugeschriebene Rolle zurückzudrängen.
Die Methoden der sogenannten „Lebensschutzbewegung“ sind dabei vielfältig: von Anzeigen durchführender Ärzt:innen über Desinformation im Internet bis hin zu Belästigung von Patient*innen in Form von „Gehsteigberatung“.
Im zweiten Teil des Workshops ging es dann um konkreten Mythen und Unwahrheiten, die Abtreibungsgegner:innen verbreiten und die sich auch in der breiten Öffentlichkeit hartnäckig halten. Beleuchtet wurde dabei der mit viel wissenschaftlicher Forschung widerlegte Mythos des „Post-Abortion-Syndroms“ oder die falsche Darstellung der Embryonalentwicklung durch sogenannte „Lebensschützer:innen“. Oft wird auch davon gesprochen, „das Kind erleide während des Abbruchs Schmerzen“. Wissenschaftlicher Konsens ist jedoch, dass eine Schmerzwahrnehmung vor der 24. Schwangerschaftswoche noch gar nicht möglich ist, da die dafür zuständigen Areale im Gehirn des Fötus und die Nervenverbindungen zwischen ihnen davor noch nicht ausgereift sind.
Sowohl Pro-Choice-Aktivist:innen aber auch Personen, die abtreiben, wird immer wieder vorgeworfen, sie seien gegen Kinder und wollten mehr Abtreibungen. Ganz im Gegenteil, die größte Gruppe der Personen, die eine Schwangerschaft abbrechen, hat bereits Kinder.
Doch nicht nur betroffene Personen und Aktivist*innen sind Zielscheibe der sogenannten „Lebensschutzbewegung“, sondern auch Ärzt*innen, die Abbrüche durchführen. Immer wieder genannt wird, dass sich Ärzt*innen durch diese medizinischen Eingriffe selbst bereichern wollen. In diesem Kontext ist auch das sogenannte „Werbeverbot“ durch den §219a StGB zu sehen. Wer sich jedoch anschaut, welche Kosten durch das Einrichten und Unterhalten von für Schwangerschaftsabbrüche geeigneten Räumlichkeiten entstehen, sieht, dass da nicht viel zu holen ist. Hinzukommen die Repressalien durch Abtreibungsgegner:innen und die strafrechtliche Verfolgung. Dass diese leider funktionieren, zeigt sich in den seit Jahren sinkenden Zahlen von Praxen, die Abtreibungen anbieten.
Sehr gefreut haben wir uns, dass im Anschluss noch einige Teilnehmer:innen mit uns über die Nähe von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zum „Lebensschutz“-Verein „ALfA“ und die Situation bezüglich Abtreibungen in der medizinischen Lehre diskutiert haben. Ein wichtiges Gesprächsthema waren auch die persönlichen Erfahrungen der Teilnehmer*innen, wie weit verbreitet, auch im persönlichen Umfeld, sogenannte „Pro-Life“-Positionen sind.