Die kosmetische Chirurgie der weiblichen* Genitalien (engl. female genital cosmetic surgery, abgekürzt FGCS) ist ein Oberbegriff in der medizinischen Fachsprache für plastisch-chirurgische Eingriffe, die das ästhetische Erscheinungsbild der Vulva angeblich verbessern sollen. Der Begriff “Designer Vagina” wird umgangssprachlich oft für diese Art der Körperanpassung verwendet, obwohl bei den meisten Eingriffen die Labien und die umgebenden Strukturen und nicht die Vagina selbst verändert werden.
In Zusammenarbeit mit den Fotografinnen und Künstlerinnen Le Nguyen und Stella Traub sind folgende Bilder entstanden. Ein Text von Julius Poppel.
*Die Verwendung der Kategorie weiblich wird hier bewusst für weiblich gelesene Körper verwendet, da das folgende Thema einem zutiefst cis-hetero-binär geprägten Denken entspringt.

The Designer Vagina
Insgesamt hat die Nachfrage und das Angebot intimchirurgischer Eingriffe in den letzten Jahren stark zugenommen. Diese Entwicklung wird von verschiedenen Expert*innen in Zusammenhang gebracht mit einem sich seit den 90er Jahren ausbreitendem Schönheitsideal des weiblich gelesenen Körpers. Dazu gehört unter anderem die Verbreitung der völligen Entfernung von Intimbehaarung. Nach dem Medizinsoziologen Elmar Brähler entstand so durch die “neue Sichtbarkeit” der äußeren Genitalien eine Schönheitsnorm und ein intimästhetischer Gestaltungsimperativ [1]. Reproduziert durch Werbung und Medien gelten heute eine völlige Intimrasur, wie auch unsichtbare innere Labien als Schönheitsnorm. In diesem Kontext finden pornographische und soft-pornographische Inhalte wie das Playboy-Magazin immer wieder Erwähnung. Nach Bildbearbeitung, Weichzeichnung oder angepasstem Fotowinkel erscheint das Genital als schmaler, glatter Spalt. Eine Studie, die 2011 in dem Journal of Sex Research veröffentlicht wurde, zeigte, dass Personen mit Vulva, denen zuvor Bilder von Playboy-Models gezeigt wurde, ihre eigenen Labien als signifikant länger einschätzen (2). Die retuschierten Bilder dienten ihnen offensichtlich als Vergleichsmaßstab. Die Psychoanalytikerin Ada Borkenhagen betrachtet diese Entwicklung kritisch und warnt davor, dass die Vorstellung nur ein vorpubertär, jugendlich aussehendes Genital sexuell anziehend und funktionabel sei, zu einer erheblichen Einschränkung der weiblichen* Sexualität führe. Darüber hinaus haben alle chirurgischen Eingriffe auch Komplikationsrisiken und Borkenhagen kritisiert, dass insbesondere die Labienverkleinerung medial lediglich als kleiner Eingriff dargestellt werde. Komplikationen können aber auch hier schwerwiegende Sexualfunktions- und Empfindungseinschränkungen zur Folge haben. Zudem gebe es keinen wissenschaftlichen Nachweis dafür, dass diese Eingriffe anhaltende psychische oder funktionelle Verbesserungen bewirken. Laut Borkenhagen verbergen sich hinter dem Wunsch nach einem genitalchirurgischen Eingriff oft Depressionen, narzisstische Störungen, Sexualstörungen oder Reifungskonflikte [3]. Die Reproduktion der Barbiedoll-Ästhetik und die gesellschaftliche Verbreitung des Kindchenschemas stellt also eine grundlegende Gefährdung der Gesundheit von Personen mit Vulva oder weiblich gelesenem Körper dar. Verdrängt wird dabei eine wesentliche Tatsache: eine Vulva kann nicht hässlich sein! Vielmehr ist sie Ausdruck der Pluralität, unterschiedlich, schön und ein wesentlicher Bestandteil des Mensch seins. Ein Körperteil, den jede Person annehmen sollte, damit die „Designer-Vagina“ bald der Vergangenheit angehört.

Ein Großteil der intimchirurgischen Eingriffe finden privatmedizinisch statt, was bedeutet, dass diese als elektive Zusatzleistungen von Patient*innen privat bezahlt werden müssen und nicht von der Krankenkasse übernommen werden können. Eingriffe, wie beispielsweise die Labienplastik können dabei weit mehr als 1000 Euro kosten [4]. Daher erscheint es wenig überraschend, dass immer mehr Privatpraxen Werbung für das lukrative Geschäft machen. So haben beispielsweise Umfragen gezeigt, dass ein Großteil der Befragten die Möglichkeit der Labienverkleinerung über Medien und medizinische Werbung erfahren haben. Ärzt*innen tragen folglich eine besondere Rolle in der Verbreitung des Schönheitsideals [5]. Das vermehrte Angebot birgt die Gefahr falsche und realitätsferne Anreize zu setzen. Die Psychologin Lih Mei Liao und die Gynäkologin Sarah M. Creighton vermuten, dass die Entscheidungen der Frauen* zu chirurgischen Eingriffen auf falschen Annahmen über die Normalmaße beruhen könnten [6]. Ärzt*innen pathologisieren durch ihre Machtposition und auf medizinischer Kompetenz ruhenden Deutungshoheit natürliche Körperunterschiede. Den Betroffenen wird damit ein nicht vorhandener Krankheitsstatus suggeriert. Selbst in der Ärzt*innenschaft herrscht Unklarheit über den statistischen Normbereich [7]. Umso wichtiger ist es, dass von seiten der Fachwelt eine kritische und differenzierte Perspektive eingenommen wird. Bereits 2012 äußerte sich die Medical Women’s International Association (MWIA) besorgt über die zunehmende Verbreitung der intimchirurgischen Eingriffe. Laut Vizepräsidentin Waltraud Diekhaus werde „den Frauen eingeredet, alle [Labien] müssten gleich und möglichst jugendlich aussehen.“ Es sei inakzeptabel, dass vermeintliche Abweichungen der Norm als OP-Indikation dargestellt werden [8]. Notwendig ist also eine umfassende Aufklärung sowie eine entsprechende Positionierung der Fachwelt. Fehlerhaft oder problematisch sind nicht die betroffenen Körper, sondern unsere Sicht auf diese.
Ärzt*innen pathologisieren durch ihre Machtposition und auf medizinischer Kompetenz ruhenden Deutungshoheit natürliche Körperunterschiede. Den Betroffenen wird damit ein nicht vorhandener Krankheitsstatus suggeriert.
Laut WHO umfasst die weibliche Genitalverstümmelung (female genital mutilation, kurz: FGM) alle nicht-medizinisch indizierten Eingriffe, bei denen die äußeren weiblichen* Genitalien teilweise oder vollständig entfernt oder beschädigt werden [9]. Vor diesem Hintergrund wird immer wieder die unklare Abgrenzbarkeit zur weiblichen* Intimchirurgie diskutiert. Hauptunterscheidungsmerkmal sei dabei die Freiwilligkeit und, dass FGM primär an Jugendlichen und Kindern durchgeführt werde. Inwiefern jedoch von Freiwilligkeit gesprochen werden kann, bei einer durch gesellschaftliche und patriarchale Machtstrukturen etablierte Körpernorm bleibt dabei außen vor. Die Psychologin Almut Dorn betont außerdem in diesem Kontext, dass es im Hinblick auf die westeuropäischen Bemühungen, gegen FGM in vor allem afrikanischen Ländern vorzugehen, verwunderlich erscheint, wenn Frauen* sich freiwillig “beschneiden” lassen [10]. Ronan Conray geht sogar soweit und sieht in Eingriffen wie der Labienplastik eine weitere Form der FGM bei derer Frauen* verstümmelt werden, um den durch pornographische Inhalte reproduzierten männlichen Masturbationsphantasien zu entsprechen [11]. Bedenklich ist auch, dass gerade bei jungen Frauen* das Normbild der idealen Vulva am stärksten verbreitet ist und hervorstehende innere Labien als unschön empfunden werden [12]. Die Entscheidung zum medizinischen Eingriff erfolgt daher selten wegen körperlicher Beschwerden, sondern häufig aufgrund einer selbst empfundenen Unzufriedenheit mit dem Aussehen der Vulva. Was beispielweise die Geschichte eines 16-jähriges Mädchens zeigt, welches eine Labienplastik erhalten hat [13]. Gerade bei Jugendlichen zu Beginn der Pubertät können Abweichungen von durch Medien und pornograpischen Inhalten im Internet geschürten Normerwartungen zu Unsicherheiten und Selbstzweifeln führen. Die Professorin für Gesundheitswissenschaften Ingrid Mühlhauser betont in diesem Kontext die Wichtigkeit einer adäquaten und frühzeitigen Sexualpädagogik und der Beschäftigung mit dem eigenen Körper [14]. „Es müsse viel stärker ins öffentliche Bewusstsein gelangen, dass es ein Spektrum der Normalität und des Variantenreichtums des menschlichen Körpers gebe, das nicht einer bestimmten Norm entsprechen sollte.“
Literaturverzeichnis
- https://idw-online.de/de/news289305#, abgerufen am 22.02.2021
- Schick VR, Rima BN, Calabrese SK. Evulvalution: the portrayal of women’s external genitalia and physique across time and the current barbie doll ideals. J Sex Res. 2011 Jan;48(1):74-81. doi: 10.1080/00224490903308404. PMID: 19916105.
- Ada Borkenhagen, Elmar Brähler, Heribert Kentenich: Intimchirurgie: Ein gefährlicher Trend. In: Deutsches Ärzteblatt. 106(11), 2009, S. A-500 / B-430 / C-416.
- Sylvia Unterdorfer, Maria Deutinger, Michaela Langer, Claudia Richter: Wahnsinnig schön: Schönheitssucht, Jugendwahn & Körperkult. Goldegg Verlag, ISBN 3-901880-14-3 Kapitel-Volltext (Memento vom 5. Juli 2010 im Internet Archive)
- Ada Borkenhagen, Elmar Brähler, Heribert Kentenich: Intimchirurgie: Ein gefährlicher Trend. In: Deutsches Ärzteblatt. 106(11), 2009, S. A-500 / B-430 / C-416.
- Lih Mei Liao, Sarah M. Creighton: Requests for cosmetic genitoplasty: how should healthcare providers respond? In: BMJ. Band 334, Nr. 7603. British Medical Journal, 26. Mai 2007, S. 1090–1092, doi:10.1136/bmj.39206.422269.BE, PMID 17525451, PMC 1877941
- http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/52204/Aerztinnen-gegen-kosmetisch-Operationen-in-der-Gynaekologie, abgerufen am 22.02.2021
- https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/female-genital-mutilation, abgerufen am 22.02.2021
- A. Dorn, F. Gallitzendörfer, K. Walgenbach, A. Borkenhagen, A. Rohde (2008): Brustaugmentation und Schamlippenreduktion–für die moderne Frau ein Muss? In: Der Gynäkologe. 41(12), 995-1004 doi:10.1007/s00129-008-2239-0
- Conroy RM. Female genital mutilation: whose problem, whose solution? BMJ. 2006 Jul 15;333(7559):106-7. doi: 10.1136/bmj.333.7559.106. PMID: 16840444; PMCID: PMC1502236.
- Michala L, Koliantzaki S, Antsaklis A. Protruding labia minora: abnormal or just uncool? J Psychosom Obstet Gynaecol. 2011 Sep;32(3):154-6. doi: 10.3109/0167482X.2011.585726. Epub 2011 Jun 23. PMID: 21696338.
- http://www.dailylife.com.au/health-and-fitness/dl-wellbeing/why-i-had-labiaplasty-at-16-20150224-13nleq.html, abgerufen am 22.02.2021
- Intimchirurgie: Riskante Operation unter der Gürtellinie. – Spiegel Online, abgerufen am 22.02.2021